PHOENIX IN DER ASCHE

engl. NO ASHES NO PHOENIX

Kino-Dokumentarfilm

88min
WDR
Produktion: Schöne Neue Filme
Verleih: Realfiction

Internationales Filmfest München 2011, Reihe: Neues Deutsches Kino
Internationales Filmfestival Dallas 2012 (USA)
Filmfestival London 2012
Filmfestival des Ruhrgebiets 2011
Slamdance Festival, Park City 2012 (USA)
Kinostart: 10. November 2011

Auszeichnungen:
Best Feature Documentary, Slamdance Festival 2012 (USA)
Dokumentarfilmpreis Ruhr 2011
Deutscher Dokumentarfilmpreis 2013 (nominiert)

Trailer

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. November 2011
Filmkritik : In den Tabuzonen des Profisports
Von Henning Harnisch

Die Hagener Basketballspieler sind in der Saison 2009/10 in die erste Liga aufgestiegen. Der Film „Phoenix in der Asche“ zeigt ein komplex angelegtes Drehbuch, das doch der Wahrheit entspricht.

Hagen ist ein Basketballort, allerdings mit einer rückwärts gewandten Note. Der deutsche Meistertitel 1974 und der Pokalsieg 1994 sind die sporthistorische Eckdaten. Dazwischen liegen unzählige Geschichten. Ihre Handlungs- und Erzählräume: die Ischelandhalle (Spielort). Der Feuervogel (Kneipe). 2003 war das Jahr, in dem die Hagener Bundesliga-Basketballspieler von der Bildfläche verschwanden. Abstieg in die zweite Liga. Nun sind sie als Phoenix Hagen zurück. Und da die legendäre Ischelandhalle saniert werden musste, galt es, eine Tennishalle, die ursprünglich eine Maschinenhalle war, in eine provisorische Heimspielstätte – die Phoenix-Halle – umzubauen.

Jens Pfeifer stammt aus Hagen, ist Basketballer und studiert Dokumentarfilm in München. Für sein erstes Langfilmprojekt ist er zurückgekehrt und hat die Aufsteigersaison 2009/10 mit der Mannschaft verbracht. Sein Projekt basiert auf den Fragen: Kann ein Team, das nach langer Abstinenz in die erste Liga aufgestiegen ist, sich dort, mit bescheidenen Mitteln, halten? Wie spielt und lebt es sich in einem Provisorium?

Die Saison entwickelt sich wie ein komplex angelegtes Drehbuch mit Shakespeareschem Ausmaß. Allein wie der dazu gekaufte Hoffnungsträger die Führung an sich reißt, um dann (selbst-)zerstörerisch mit ihr umzugehen. Es ist ein Drehbuch, wie man es einem Spielfilm wohl nicht abnehmen würde – zu ausgedacht, zu weit weg von der Realität! Was das Glück des Zuschauers ist, muss der Filmemacher sich hart erarbeiten: Die Kamera hat dauerhaft Zugang zu fast sämtlichen Tabuzonen des Profisports. Wir sehen das Trainerbüro, die Umkleidekabinen und die nächtliche Fahrt im Bus nach einem verlorenen Auswärtsspiel. All diese Räume kommen „zu Wort“; alle Protagonisten „spielen“ mit. Der Trainer Ingo Freyer und sein Assistent Steven Wriedt entpuppen sich als Duo, das auch eine sehr gute Besetzung als Tatort-Kommissare abgeben würde.

Der Alltag als Quelle für Inszenierungen
Es ist ein Unterschied, ob man ein Spiel oder eine Saison erzählt. In das Arbeitsfeld Profisport ist eine Struktur des Wartens eingeschrieben. Das Warten auf das nächste Spiel, nach Siegen und vor allem: nach Niederlagen. Je nach Verlauf einer Saison entwickelt sich auf der Ebene des Wartens eine eigene Ereignisstruktur. Die Heizung fällt beim Training aus, Spieler verletzten sich, Trainer irren sich, einer kommt zu spät, der andere kommt gar nicht. Diese Dinge bleiben für Außenstehende zumeist unsichtbar. Für die, die in diesem Feld leben, sind sie sichtbar und (körperlich!) prägend: für die Trainer, die Spieler, das Management. Hier entwickelt sich eine eigene Kultur der Bühne.

Jede Kleinigkeit, die der Trainer sagt und tut, wird von den Spielern wahrgenommen und kann gegen ihn verwendet werden. Genau hier entwickelt „Phoenix in der Asche“ seine filmische Reflexionskraft. Pfeifer montiert um das Vordergründige der Narration herum einen filmischen Handlungsraum, die Saison wird zu einem Kammerspiel. Er sammelt in diesen Räumen diese für jeden Dokumentarfilmer wichtigen Augenblicke, wenn nämlich geduldiges Warten mit prägenden Einstellungen belohnt wird. Wenn der Alltag also Quelle für Inszenierungen ist, dann verliert die Frage an Gewicht, inwieweit die Präsenz der Kamera das Geschehen davor beeinflusst. Vielmehr entsteht eine spannende Wechselwirkung zwischen den Handelnden (und deren Schauspieltalent) und der Kamera.

Wie ein Hollywood-Film
Der Regisseur registriert und reflektiert, inwieweit das Spiel Basketball heutzutage selbst permanent filmisch be- und verarbeitet wird. Nur ganz vereinzelt sieht man im Film normale Spielszenen, wie man sie aus dem Fernsehen kennt. Die Kamera von Tobias Tempel sucht stattdessen, angenehm reduziert, ihren eigenen ästhetischen Zugang: Aus der Perspektive der Hallendecke zeigt sie in der Totalen einzelne Angriffe der Hagener; den aufgepeitschten Einlauf der Spieler zum ersten Heimspiel umtanzt sie kongenial.

Auf der anderen Seite reflektiert der Film den Wert des Mediums für die tägliche Arbeit der Beteiligten. Grundlage für jede inhaltliche Basketball-Analyse ist heutzutage Filmmaterial. Die Analyse des Spiels, die Vor- und Nachbereitung, die Einzelkritik an Spielern, all dies passiert filmisch und wird entsprechend gezeigt und genutzt. Profibasketball ist permanentes Reden über bewegte Bilder. Es ist ein filmischer Text, und das eigentlich Großartige an Pfeifers Film ist, dass er sich im Medium Film erst adäquat abbildet. „Phoenix in der Asche“ ist wie ein kluger Hollywood-Film konzipiert: sehr zuschauerfreundlich einerseits, gleichzeitig ist er im Subtext essayistisch angelegt. Am Dienstag, 8. November feiert der Film in Hagen Premiere. Nur wenige von den Spielern, die in der dramatischen Saison 2009/10 in Hagen gespielt haben, werden dabei sein. Sie sind zur nächsten Bohrinsel weitergezogen. Die Hagener dagegen werden an dem Abend mit einem filmischen Dokument belohnt. Sie werden ihre Geschichten nun auch durch einen Film erzählen – „was für eine verrückte Saison!“ Sie werden sich durch den Film an „die gute alte Phoenix-Halle“ erinnern können. Sie werden den Abend im Feuervogel ausklingen lassen. Nostalgie ist hartnäckig. Und sie werden sich vielleicht fragen, warum es nicht mehr solcher Filme gibt.